"Es muss nicht nur regionale Eier geben, im Strom kann das genauso sein"

Friederike Fabianatz blickt lächelnd in die Kamera. Sie trägt eine weiße Bluse.
Friederike Fabianatz plädiert für einen regionalen Strommarkt. Bild: Fabianatz

Friederike Fabianatz leitet den operativen Betrieb der Ökostrom-Marke Corrently der STROMDAO GmbH aus Mauer. Im Interview spricht sie über den Unterschied zwischen Grün- und Ökostrom, über innovative Finanzierungsmethoden – und darüber, warum Ehrenämtler die besseren Mitarbeitenden sind.

Sie bieten mit Corrently keinen normalen Ökostrom an, sondern deklarieren ihn als „Grünstrom“ – Wo liegen denn die Unterschiede?

Ökostrom ist Strom aus erneuerbaren Energiequellen. Aber: Ökostrom ist nicht CO2-neutral. Wenn Strom jetzt beispielsweise in Mannheim erzeugt und in Eppelheim verbraucht wird, geht unterwegs ein bisschen davon verloren. Dieser Netzverlust ist ein ganz normaler physikalischer Effekt. Das puffert der Netzbetreiber nach, und dafür kauft er billigen Strom ein, das ist dann oft Atom- oder Kohlestrom. So fallen für eine Kilowattstunde Ökostrom immer noch 35 Gramm CO2 an. Immer noch besser als die rund 400 Gramm CO2 pro Kilowattstunde bei konventionellen Energieträgern. Aber wir kompensieren auch noch diesen letzten Rest über Zertifikate, sodass bei uns der Strom rechnerisch tatsächlich CO2-neutral ist. Und das nennen wir Grünstrom.

Wie läuft der Stromeinkauf in Deutschland normalerweise?

Generell kann man Strom an drei Stellen kaufen: An der Strombörse, bei eigenen Kraftwerken – so machen wir das, wir haben zwei Anlagen, bei denen wir Sonnenstrom einkaufen – oder bei fremden Erzeugern, etwa bei einer Firma mit Kollektoren auf dem Dach. Die Herausforderung ist es, genau so viel zu kaufen, wie man auch verkauft. Das Risiko: Wenn man Strom übrig hat, muss man Strafen zahlen, wenn man zu wenig hat, muss man ihn sehr teuer hinzukaufen.

Warum legen Sie besonderen Wert auf regionale Erzeugung des Stroms?

Im besten Fall liegen Erzeuger und Verbraucher nah beieinander, dann gibt es weniger Netzverluste, wir müssen weniger ausgleichen, der Strom wird weniger CO2-intensiv. Wasserkraft aus Norwegen ist auf dem Papier öko, muss aber erst mal hierherkommen, und da geht unterwegs viel verloren. Also, natürlich bekommt man real immer den Strom des nächstgelegenen Erzeugers, das ist physikalisch ja auch nicht anders zu handhaben. Aber man sucht sich über den Stromanbieter ja aus, in welche Erzeugungsanlagen investiert, und das wird auf dem Papier dann entsprechend berechnet. Wir stellen unseren Kunden auf ihrem Konto dar, wo ihr Strom herkommt.

Wie ist der Rhein-Neckar-Kreis oder die Metropolregion Rhein-Neckar Ihrer Meinung nach insoweit aufgestellt?

Grundsätzlich wird hier genug Energie erzeugt, es würde für den Bedarf passen. Trotzdem wird hier beispielsweise der Strom einer großen Photovoltaik-Anlage nicht hier in der Region verkauft, sondern teuer an der Börse. Im Gegenzug wird für die hiesigen Kunden Strom von extern hinzugekauft. Ein nachhaltiger regionaler Markt, eine Dezentralisierung wäre aus unserer Sicht wünschenswert. Allerdings trifft man dabei hier wie überall in Deutschland auch auf Widerstände: Jeder möchte gerne Ökostrom, aber bloß nicht zu nah – in Spechbach etwa gibt es ja gerade das Problem mit der Windkraftanlage. Da müssen wir alle Kompromisse eingehen, damit wir deutschlandweit eine grüne Erzeugung haben.

Wo sehen Sie noch Potenziale?

Natürlich im Ausbau der Erneuerbaren, aber das Potenzial liegt aus unserer Sicht vor allem darin, dass man den regional erzeugten Strom auch regional vermarktet. Es muss nicht nur regionale Eier geben, im Strom kann das genauso sein.

Und Probleme?

Die gibt es natürlich auch: Es ist eben schwierig am Ökostrom, dass man Sonne und Wind nicht planen kann. Es wäre daher natürlich schön, wenn die Nutzerinnen und Nutzer sich nach dem Vorhandensein von Strom richten würden. Wenn sie beispielsweise Waschmaschine und Trockner mittags um zwölf statt nachts um vier Uhr laufen lassen würden. Die Energiewende ist eben auch Umdenken und Verhaltensanpassung! Wir Deutschen sind super bequem geworden. Dabei ist es gar nicht so schwer, da etwas zu ändern: Bei unserem Unternehmen regeln wir das so, dass die Nutzer Benefits sammeln, wenn sie besonders viel Grünstrom nutzen, wenn er auch da ist. Ihr Grünstrom-Konto zeigt, wie der GrünstromIndex gerade aussieht: Es wird für jede Stunde berechnet, wie viel Ökostrom im Netz ist und wie nah der ist. Beispielsweise ist gegen elf Uhr ein besonders hoher Wert üblich, weil hier mehr per Photovoltaik erzeugt werden kann. Abends geht die Kurve dann erheblich runter. Den Index kann übrigens jeder nutzen, auch ohne Kunde bei uns zu sein. Unter gruenstromindex.de kann man die Tageskurse einsehen. Und der Code steht als Open Source zur Verfügung, weil wir wollen, dass jeder an der Energiewende teilnehmen und mithelfen kann.

Wie kommt bei Ihrem Konzept die Blockchain zum Einsatz?

Einige unserer Kunden haben einen SmartMeter. Diese Stromzähler messen und senden ständig Daten, wie der Strom verbraucht wird. Diese Daten werden dann mit dem GrünstromIndex verrechnet und die Kunden bekommen Bonuspunkte, wenn der Wert hoch ist. Die Blockchain ist unser Werkzeug für Transparenz: Wir nutzen für diese Einträge die Blockchain, da sie fälschungssicher ist.

Ist das Corrently-Modell eher für Privatkunden interessant oder auch für Unternehmen?

Wir haben hauptsächlich Privatkunden, aber wir haben auch Sondertarife für E-Mobilität, das kann gerade für KMU mit E-Flotten sehr interessant sein. Insbesondere jetzt, wo die Themen Nachhaltigkeit und CO2-Fußabdruck immer wichtiger werden, nehmen Angebote wie unseres sicher an Attraktivität zu. Viele verfassen ja jetzt schon freiwillig Nachhaltigkeitsberichte. Und für viele Kunden wird der CO2-Fußabdruck von Unternehmen immer mehr zum Entscheidungskriterium. Wir gehen davon aus, dass irgendwann Unternehmen nicht mehr nur ihre Bilanz veröffentlichen müssen, sondern auch ihren CO2-Fußabdruck. Da hilft es, wenn der Strom CO2-neutral ist, der schlägt dann in der CO2-Bilanz nicht mehr zu Buche.

Ist es für Sie in den aktuellen Krisenzeiten schwerer am Markt als sonst?

Im Prinzip wechselt derzeit kaum jemand seinen Stromtarif, wenn er nicht muss. Manche müssen wechseln, weil sie umziehen. Die bekommen bei allen Anbietern in voller Härte die Neukundenkonditionen zu spüren. Unsere Kunden werden aber belohnt, wenn sie grünen Strom nutzen – dann beklommen sie virtuelle Erzeugungsanteile. Je mehr Bonuspunkte sie sammeln, desto höher ist z.B. die Abschlagsreduktion. Und gleichzeitig werden Genussrechte an Erzeugungsanlagen gesammelt. Für unsere Kunden der ersten Stunde ist der Strom sogar ein bisschen günstiger geworden – wir nennen das Stromrente: Je länger man dabei bleibt, desto mehr Guthaben baut man auf. Neue Kunden gewinnen wir derzeit aber eher mit einem anderen Geschäft: Wir sind in den Vertrieb von Photovoltaik-Anlagen und Balkonkraftwerken eingestiegen. Bei unserem Einstieg wussten wir noch gar nicht, wie gut diese Entscheidung war, aber das hat sich rasant entwickelt. Und unseren Kunden hilft es natürlich wieder, denn wer mehr erzeugt, muss weniger kaufen.

Warum haben Sie den Start von Corrently vor zwei Jahren über ein Crowdinvestment finanziert?

Das waren hauptsächlich Marketinggründe. Wenn ich einen Kredit für mein Geschäft aufnehme, weiß die Bank, dass es mich gibt – und sonst erst mal niemand. Beim Crowdinvestment steigt die Markenbekanntheit und außerdem entsteht eine ganz andere Bindung und ein Engagement. Das ist für uns als Unternehmen wichtig. Wir haben auch einen Newsletter, in dem wir manchmal einzelne Kunden vorstellen. Wir pflegen Kontakt zu unseren Kunden und bekommen dadurch auch eher mal Kritik: „Hier ist was unübersichtlich in meinem Kundenkonto, könnt ihr das mal ändern?“ – Dann machen wir das. Kurze Wege und enge Bindung sind uns wichtig, da herrscht immer noch Start-up-Spirit.

Sie nehmen auch CSR bzw. ehrenamtliches Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ernst – inwieweit lässt sich Nachhaltigkeit mit Profitstreben vereinbaren?

Da gibt es keinen Widerspruch. Auch ich wurde schon vor meinem Einstieg gefragt, ob und was ich ehrenamtlich arbeite. Personen, die ehrenamtlich tätig sind, sind einfach supercoole Menschen, sie können gut anpacken, auch im Team. Außerdem können sie mit Krisen besser umgehen. Unser Chef und Gründer ist beispielsweise Notfallseelsorger bei der Feuerwehr. Wir alle müssen in unseren Ehrenämtern öfter in Stresssituationen ruhig bleiben. In so einem Start-Up gibt es öfter mal kleinere Stresssituationen, und genau dafür sind wir gemacht. Wenn es dann mal einen Notfall gibt, gibt die Person im Firmenchat Bescheid, dann ist das auch in Ordnung.

Sind Sie durch dieses Engagement auch stärker in der Region verwurzelt – und was bedeutet das für die Bindung an den Unternehmensstandort Mauer?

Unser Standort ist digital. Wir hatten früher Büroräume gemietet, das gibt es nicht mehr – wir arbeiten von zu Hause aus oder mobil. Das funktioniert dank Chats, Videotelefonie und integrierten Kalendern sehr gut. Unseren Sitz haben wir in Mauer, weil hier unser Gründer sitzt und wir in dieser Gegend unsere meisten Kunden haben. Demnach hatten wir natürlich auch die ersten Erzeugungsanlagen hier in der Region, weil uns ja die Nähe wichtig ist. Würden wir jetzt plötzlich viele Kunden in Berlin bekommen, würden wir auch dort in entsprechende Kraftwerke investieren.

Zuletzt noch ein Zitat von Ihrer Homepage: „Aus Schnapsideen sind bei uns auch schon wertvolle Visionen entstanden.“ – Haben Sie hier ein Beispiel?

Naja, das darf man jetzt eher nicht wörtlich nehmen – unser Chef trinkt nämlich gar keinen Alkohol, der ist immer der Fahrer (lacht). Aber wir sind ein junges, kreatives Team und entwickeln auch mal auf Zuruf Dienstleistungen, die über den Tellerrand rausgehen. So haben wir auf Wunsch einiger Kunden die StromQuittung entwickelt: Damit kann ein Arbeitnehmer mit E-Mobil auch ohne Tankkarte zeigen, wie er Strom geladen hat und das beim Arbeitgeber abrechnen. Oder ein CO2-Accounting-Tool, das den Abdruck für alles von Stromverbrauch über Päckchenversand bis hin zum Druckerpapier abbildet und die Möglichkeit zur Kompensation gibt.

Weitere Informationen

Kontakt

Dr. Anja Brandt
Stabsstelle Wirtschaftsförderung
06221 522-2167
a.brandt@rhein-neckar-kreis.de

(Erstellt am 14. November 2022)